Samstag, 13. August 2016

Unkraut

Wir kennen es alle, das Unkraut. Nämlich diese Pflanzen, die dort wachsen, wo man sie eigentlich gar nicht will. Und dazu noch im Überfluss. Wuchernd. Viel zu viel. Unkraut. Unding. Hält sich hartnäckig im Boden fest, mit Wurzeln, derer man kaum Frau werden kann. In Mauerritzen, steinigem Boden und unwirtlichem Gelände. Zwischen den Tomaten, den Bohnen, Gurken, Erdbeeren. So dass man die gewünschten Gemüse und Beeren nicht gut pflücken kann oder das Wesentliche, nämlich die reifen Früchte, übersieht. Oft stachelig, alles umwindend oder klebrig. Unkraut. Auf jeden Fall fehl am Platz. Ungewollt. Ungeliebt.

Und total verkannt!

Nein, ich will das nicht schön reden, ich will es ja auch nicht, das Unkraut, das übrigens immer öfter "Beikraut" genannt wird. Doch man führe sich vor Augen welche Überlebenskunst da drin steckt! Da kann sich der Mensch doch einiges abschauen. Grünen und Blühen in den widrigsten Umständen. Unbändige Lebenskraft. Lebenswille. Immer der Sonne entgegen. Wachsen. Emporrecken. Tief verwurzeln. Reines Leben. 
Reines LEBEN.
Und das reissen wir ständig aus. Entwurzeln es. Muss ja auch sein, denn die Gurken, Bohnen, Tomaten wollen auch wachsen und nicht fremdüberwuchert werden. Wollen auch dem Licht entgegen. Die Frage drängt sich auf, was denn passieren würde, wenn wir Menschen nicht einschritten. Wildes Wachstum, das Gesetz des Stärkeren. Würden wir dann unsere Salat- oder Gemüsespezialitäten mit Beikraut zubereiten? Büffelmozzarella mit Disteln servieren? Anstatt Erdbeereis Windenhalbgefrorenes?

Jetzt gilt es noch abzuwägen, ob denn alles , was einfach so wächst, ungewollt und wild, als Unkraut, bzw. Beikraut zu bezeichnen ist. Definitiv nicht. Wer möchte denn nicht wilden Ruccola essen oder zarte Löwenzahnblätter in den Salat mischen? Oder gar Brennnessel-Gnocchi? Die Brombeeren wachsen überall auf unserem Land, sind zwar eine Plage, da sie sich rasant vermehren - nichts desto trotz schmecken die Beeren herrlich…

Spinnen wir doch den Faden einmal weiter vom "Leben ausreissen" und "Entwurzeln": Wie verwurzelt, bzw. entwurzelt sind wir eigentlich? Gehen durch die Welt, am besten mit dem Mobiltelefon, und voller Pläne und Vorstellungen wie denn alles sein sollte oder zu sein hat. Kein Platz für wild Wucherndes. Kein Platz, wirklich seine Wurzeln zu spüren, zu finden oder zu verankern. Kein Platz für realen Boden. Wie viel Schein ist in unserem Leben? Darstellen, gut dastehen, kultiviert und angepasst sein. So ist das Unkraut nicht - und in diesem Zusammenhang passt auch Beikraut nicht, denn das wäre ja schon wieder gezähmt (zumindest verbal). Nein, Unkraut ist es, das wild und ungezähmt wächst, das seine Wurzeln tief in die Erde schickt und immer voller Kraft seinen Weg geht.

Und so bin ich nun in unserem Gemüsegarten und jäte Unkraut, Stunden um Stunden, denke übers Verwurzelt-Sein nach, lasse Emotionen von Wut (Scheissunkraut), Verzweiflung (dem werde ich nie Einhalt gebieten) und Bewunderung (welche Urkraft) kommen und gehen. Lasse mich reinigen von der Arbeit, der Bewegung, dem Wind, dem Vogelgezwitscher und der Sonne auf der Haut. Im Wissen, dass das Wilde auf Terra Selvatica seinen Ausdruck sucht (und findet) und mir erlaubt, meine eigene Ur-Kraft zu spüren.

Und nach diesem ganzen Exkurs habe ich eine steife Schulter und der Gemüsegarten ist in Ordnung….